Internationale wissenschaftliche Konferenz
Der ungewollte Kompromiss
Die Freie Stadt Danzig 1920-1939
Danzig, 4. bis 6. November 2021
Wegen Corona musste der Gründungstag der Freien Stadt Danzig – der 15. November – zum 101. Mal herannahen, um im Rahmen einer internationalen Konferenz rund 30 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Polen, Deutschland, Großbritannien, Italien, Tschechien und Kanada nach Danzig zu führen. Die vom Deutschen Polen-Institut mit zahlreichen Partnern aus Deutschland und Polen organisierte Tagung begann im repräsentativen Artushof mit einem Gespräch zwischen Jacek Friedrich, Direktor des Danziger Nationalmuseums, und DPI-Direktor Peter Oliver Loew, das von Basil Kerski moderiert wurde, dem Direktor des Europäischen Solidarność-Zentrums. Schon hier wurde deutlich, welch umfassendes Thema für die Geschichtswissenschaft, aber auch für zahlreiche andere Disziplinen die Freie Stadt darstellt, wie sehr sie bis heute das politische Denken prägt und wie viele Forschungsfragen sich noch stellen. Umrahmt wurde die Eröffnung durch die Aufführung kammermusikalischer Werke zweier Komponisten der Freistadtzeit – Johannes Hannemann und Henryk Hubertus Jabłoński.
Im Hauptteil der Tagung, die im Solidarność-Zentrum stattfand, analysierten die Vortragenden weitere Freie Städte des 19. und 20. Jahrhunderts, gingen auf die politischen Verhältnisse in Danzig zwischen den Weltkriegen ein, beleuchteten einzelne Aspekte der Freistadtgeschichte und auch Aspekte der Erinnerungskultur. Die Tagung soll parallel in einem deutschen und einem polnischen Konferenzband dokumentiert werden.
* Tagungsankündigung
Am 15. November 1920 wurde die Gründung der Freien Stadt Danzig offiziell verkündet. Was sich die Großmächte bei den Friedensverhandlungen in Paris anderthalb Jahre zuvor als Kompromisslösung ausgedacht hatten, sollte sich in der Praxis als problematisches Staatswesen erweisen. Es wurde in den knapp 19 Jahren seiner Existenz zwischen Deutschland und Polen aufgerieben, geriet trotz der Aufsicht des Völkerbunds in die Fänge der Nationalsozialisten und war schließlich der Ort, an dem mit der Beschießung der Westerplatte der Zweite Weltkrieg ausbrach.
Die 100. Wiederkehr jenes Tages, an dem die Freie Stadt Danzig gegründet wurde, ist Anlass, ihre Geschichte zu rekapitulieren, ihr Fortwirken bis in die Gegenwart zu besprechen und im Kontext anderer urbaner Kleinstaaten vergleichend einzuordnen.
Unsere Leitfragen lauten: Welche Schlussfolgerungen ergeben sich aus der Analyse des Funktionierens von Stadtstaaten im Zeitalter der modernen Staatsbildung und des dominierenden Nationalstaats für die Kategorie der Staatlichkeit? Inwiefern sind Staaten, die – wie die Freie Stadt Danzig – als Kompromisslösungen ihre Existenz dem Ausgleich von Machtinteressen verdankten, tatsächlich Orte der Freiheit? Oder sind sie aufgrund ihrer vielen Abhängigkeiten nicht vielmehr zu Unfreiheit verdammt? Inwieweit stell(t)en sie Alternativen zum Nationalstaatsmodell dar – oder werden sie vielmehr zu Brennpunkten nationalstaatlicher Ansprüche und somit auch zu Ausnahmen, die die Dominanz des nationalstaatlichen „Regelfalls“ diskursiv und politisch nochmals unterstreichen? Inwieweit waren oder sind moderne Stadtstaaten auch Räume wirtschaftlicher Freiheit und welche Rolle spiel(t)en sie in regionalen und internationalen Wirtschaftsräumen? Wie sehr entwickeln „Freie Städte“ als Nicht-Nationalstaaten ihre eigenen gesellschaftlichen, politischen oder kulturellen Identitäten, wie füllen sie die ihnen zugedachten staatlichen Funktionen aus, und wem nutzen sie eigentlich? Und wie stellt sich ihre Nach-Geschichte dar: Dienen sie, sofern sie ein Ende finden, späteren Generationen als mythischer Erinnerungsraum oder sind sie eher negativ konnotiert? Wie wird ihre Existenz symbolisch aufgeladen oder politisch instrumentalisiert, und wie werden sie in der gegenwärtigen Erlebnisgesellschaft marketingtechnisch, touristisch oder identitätsstiftend aufgewertet?
Unsere Konferenz besteht aus drei Teilen. Im ersten Teil geht es darum, den Forschungsstand über die Freie Stadt Danzig darzustellen und neue wissenschaftliche Arbeiten zu ihrer Geschichte zu präsentieren. Im zweiten Teil sollen weitere urbane Kleinstaaten präsentiert werden, von der Freien Stadt Krakau bis hin zu Rijeka/Fiume oder Triest, von der Freien Stadt Frankfurt bis hin zu den urbanen Kleinstaaten der Gegenwart wie Monaco oder Singapur. Im dritten Teil steht die Erinnerungsgeschichte im Mittelpunkt.
Tagungssprachen sind Polnisch und Englisch (Simultanübersetzung). Ein Tagungsband ist vorgesehen.
Organisationsteam: Prof. Dr. Grzegorz Berendt (Danzig), Prof. Dr. Jacek Friedrich (Danzig), Basil Kerski (Danzig), Prof. Dr. Edmund Kizik (Danzig), PD Dr. Peter Oliver Loew (Darmstadt), Adrian Mitter M.A. (Toronto/Marburg), Prof. Dr. Miloš Řezník (Warschau), Prof. Dr. Luciano Segreto (Danzig/Florenz)
Ausrichter: Deutsches Polen-Institut Darmstadt, Deutsches Historisches Institut Warschau, Universität Danzig, Technische Hochschule Danzig, Instytut Historii im. Tadeusza Manteuffla Polskiej Akademii Nauk, Herder-Institut Marburg, Muzeum Gdańska, Europejskie Centrum Solidarności, National-Museum Danzig (tbc.)
Call for Papers (pdf) / English Version / Wersja polska