26.03.2025 - Politik
Sławomir Mentzen: Greift der Geheimfavorit nach der Macht?
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Nachdem Sławomir Mentzen, Präsidentschaftskandiat des rechtsextremen Parteienbündnisses Konföderation (Konfederacja), im August 2024 als erster Wettbewerber seine Kandidatur für das höchste Amt im Staat bekanntgegeben hatte, galt er bis zu Beginn dieses Jahres als aussichtsreicher Kandidat für einen respektablen dritten Platz bei den Präsidentschaftswahlen am 18. Mai. Lediglich in Expertenkreisen existierte ein hypothetisches Szenario, in dem die Unterstützung für Mentzen in den Meinungsumfragen bis zu einem Punkt wächst, an dem die polnischen Wählerinnen und Wähler seinen Einzug in die Stichwahl auf einmal als realistische Option erachten und sich eine Eigendynamik entwickelt. Die jüngsten Umfragen legen nun nahe, dass dieses Szenario im Bereich des Möglichen liegt. Sollte Mentzen tatsächlich der Einzug in die Stichwahl gelingen, so wäre dies das erste Mal seit 2005, dass der Kampf um das polnische Präsidentenamt nicht zwischen der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska) von Donald Tusk und Jarosław Kaczyńskis Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość) entschieden wird.
Wer ist Sławomir Mentzen?
Der 38-jährige Doktor der Wirtschaftswissenschaften stammt aus Thorn (Toruń). Neben seinem politischen Engagement vertreibt er eine eigene Biermarke (Browar Mentzen) und führt eine Steuerkanzlei mit Filialen in Thorn, Warschau und Danzig. Er ist verheiratet und Vater dreier Kinder.
Mentzens politische Karriere nahm 2017 an Fahrt auf, als er stellvertretender Vorsitzender der Partei KORWiN wurde, der politischen Formation des Enfant terrible der polnischen Politik Janusz Korwin-Mikke. 2018 bewarb sich Mentzen erfolglos um das Amt des Stadtpräsidenten von Toruń. Im gleichen Jahr schlossen sich, im Vorfeld der Europawahl 2019, KORWiN, die Anhänger des monarchistischen Regisseurs Grzegorz Braun, das Milieu rund um den Rapper Piotr Liroy-Marzec und die Nationale Bewegung (Ruch Narodowy) zur Konföderation zusammen. Mentzen trat sowohl bei den Europawahlen als auch bei den Sejm-Wahlen 2019 für das neue Bündnis an, konnte jedoch beide Male kein Mandat erringen. Am 15. Oktober 2022 trat Korwin-Mikke als Parteivorsitzender zurück, sein Nachfolger wurde Sławomir Mentzen. Im November benannte sich KORWIN in Nowa Nadzieja (Neue Hoffnung) um. Im Februar 2023 wurde Mentzen Co-Vorsitzender der Konfederacja neben RN-Chef Krzysztof Bosak. Bei den Parlamentswahlen im gleichen Jahr errang Mentzen erstmals ein Abgeordnetenmandat.
Mentzen versteht es, die sozialen Medien effektiv einzusetzen und hat sich in der polnischen Politiklandschaft als eine Art TikTok-Star etabliert. Parallel dazu führt er einen engagierten Wahlkampf vor Ort, den er zuletzt intensiviert hat. Im Laufe einer Woche hatte er kürzlich 18 Gemeinden in Polen besucht. Für den Monat April sind Besuche in weiteren 70 Ortschaften geplant. Wirtschaftlich setzt er auf einen schlanken Staat, Deregulierung und steuerliche Entlastungen für Unternehmen. In der Geschichtspolitik wirft er Deutschland eine Verzerrung der Geschichte des Zweiten Weltkriegs vor. Außenpolitisch lehnt er einen EU- oder NATO-Beitritt der Ukraine ab und spricht sich gegen Migration aus afrikanischen und asiatischen Ländern nach Polen aus. Sein politisches Vorbild ist der aktuelle US-Präsident Donald Trump. Derzeit kann Mentzen seinen Wahlkampf weitgehend ungehindert führen, da seine politischen Gegner Rafał Trzaskowski und Karol Nawrocki darauf verzichten, ihn scharf anzugreifen – sie sehen seine Wähler als mögliche Unterstützer in einer Stichwahl. Mentzens Ambitionen gehen jedoch über die aktuellen Wahlen hinaus: Sollte er sein aktuell hohes Umfrageergebnis am 18. Mai bestätigen, würde er die Konföderation als drittstärkste Kraft in der polnischen Parteienlandschaft etablieren und seine Führungsrolle innerhalb der Partei festigen. Doch vielleicht gelingt ihm der große Coup und der Einzug in die Stichwahl am 1. Juni?
Mentzens Programm
Das Programm von Sławomir Mentzen listet unter dem Motto Starkes Reiches Polen (Silna Bogata Polska) zwanzig Punkte auf: Souveränität, starke Armee, sichere Grenzen, starke Wirtschaft, niedrige und einfache Steuern, Stopp der linken Ideologie, Verteidigung der Meinungsfreiheit, persönliche Freiheit (hierzu zählt die Legalisierung von Marihuana und Pokerspiel, der Zugang zu Waffen und ein ungehinderter Fleischkonsum), Ablehnung des Grünen Deals, Energiesicherheit, Schutz der polnischen Landwirtschaft, Nein zu polnischen Truppen in der Ukraine, moderne Infrastruktur, Bürokratieabbau, Schutz des Bargelds, Effizienzsteigerung der Justiz, bessere Bildung, leistungsfähiger Gesundheitsschutz, Freigabe von Kryptowährungen, Ende des Kampfes gegen Autofahrer.
Zu seinen zentralen Forderungen gehört die Ablehnung weiterer Kompetenzverschiebungen innerhalb der Europäischen Union von der mitgliedstaatlichen auf die supranationale Ebene sowie die Ablehnung einer Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen in der Gemeinschaft. Damit vertritt er gemäßigtere Positionen als noch vor den Parlamenstwahlen 2023, als er einen EU-Austritt Polens forderte, damit jedoch beim Gros der Wählerschaft nicht reüssieren konnte.Wirtschaftspolitisch setzt Mentzen auf eine radikale Vereinfachung des Steuersystems und eine weitreichende Deregulierung. Dieser libertäre Ansatz findet sich auch in seinem gesellschaftspolitischen Kurs wieder. Hier fordert er für Polen “die vollständige Meinungsfreiheit, so wie sie in den USA funktioniert”.
Darüber hinaus nutzt Mentzen anti-ukrainische Ressentiments innerhalb der polnischen Wählerschaft, um sich im Präsidentschaftswahlkampf zu profilieren. So erklärte er etwa, dass der polnische Staat einen weitaus höheren Betrag für Sozialleistungen an Ukrainerinnen und Ukrainer aufwenden würde, als er von der gleichen Gruppe an Steuern einnehme. Ein Bericht der staatlichen Entwicklungsbank Polens (Bank Gospodarstwa Krajowego) zeigt hingegen das genaue Gegenteil: die Ukrainer bescheren dem polnischen Staat erhebliche Mehreinnahmen und leisten einen signifikanten Beitrag zum polnischen Wirtschaftswachstum. Zudem provozierte Mentzen am dritten Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine, am 24. Februar 2025, mit einem Auftritt im ukrainischen Lemberg, wo er von der ukrainischen Regierung ein Ende des “Bandera-Kults” forderte.
Bemerkenswert ist zudem, dass Russland bis auf eine Ausnahme keinerlei Erwähnung im Wahlprogramm Sławomir Mentzens findet. Sein Programm erwähnt das Land lediglich im Kontext der Aussage, dass Polen auf keinen Fall in den russischen Krieg gegen die Ukraine hineingezogen werden dürfe und sich daher eine Entsendung polnischer Truppen in die Ukraine verbiete. Dies ist eine Position aus dem rechtspopulistischen Drehbuch, die die sicherheitspolitische Bedrohung Europas durch Russland herunterspielt und eine Enthaltung gegenüber dem russischen Krieg gegen die Ukraine als Mittel der Wahl begreift.
Wer sind Mentzens Wähler?
Sławomir Mentzens Unterstützerbasis ist die Wählerschaft der Konföderation. Ein Bericht des Meinungsforschungsinstituts CBOS vom August 2023 charakterisiert die Konföderation als generationenspezifische Partei, bei der im Gegensatz zur Altersverteilung unter den Wählern der beiden größten politischen Kräfte, vor allem der PiS, aber auch der PO , junge Menschen dominieren. Fast zwei Drittel (63 %) der potenziellen Wähler der Konföderation sind zwischen 18 und 34 Jahre alt – das ist fast dreimal so viel wie im Durchschnitt der gesamten Wählerschaft (24 %). Dadurch ist der Anteil der Konföderationswähler über 45 Jahre vergleichsweise gering (21 % gegenüber 57 % in der Gesamtwählerschaft). Das Durchschnittsalter eines Konföderationswählers beträgt etwa 33 Jahre und ist damit das mit Abstand niedrigste im Vergleich zu den anderen größeren Parteien. Das geringe Alter der Wählerschaft macht sich auch in einer für das polnische Parteiensystem außergewöhnlichen Kombination bemerkbar: Während sich ein vergleichsweise großer Teil der Konfederacja-Wähler als politisch rechts verortet (55 %), fällt der Anteil der Wähler, die ihren Glauben regelmäßig praktizieren, relativ gering aus (über 50 % praktizieren gar nicht oder einige Male im Jahr). Bemerkenswert ist zudem, dass ein Drittel der Konföderationsanhänger (34 %) bei den Parlamentswahlen 2019 nicht gewählt hat. Laut dem Bericht ist die Konföderation zudem eine echte Männerpartei. So sind 78 Prozent ihrer Unterstützer männlich, lediglich 22 Prozent weiblich. Zudem ist die eindeutige Mehrheit der Konföderationsanhänger (80 %) gegen die Anwesenheit von Ukrainern in Polen.
Wie stehen Mentzens Chancen?
Lange Zeit schien es, als ob Mentzen nicht einmal Außenseiterchancen auf einen Einzug in die Stichwahl besäße. Neben den beiden Hauptfavoriten Rafał Trzaskowski und Karol Nawrocki wurde der amtierende Sejm-Marschall Szymon Hołownia als aussichtsreichster Kandidat für den dritten Platz gehandelt, den er bereits bei den Präsidentschaftswahlen 2020 mit beachtlichen 13,9 Prozent errungen hatte. Damals hatte der Kandidat der Konföderation, Krzysztof Bosak, mit einem vierten Platz und 6,8 Prozent der Stimmen auf sich aufmerksam gemacht. Im aktuell laufenden Wahlkampf wurde ein Erfolg Mentzens lediglich in publizistischen Kreisen als mögliches, wenngleich unwahrscheinliches, Szenario diskutiert.
Doch das unwahrscheinliche Szenario könnte mittlerweile tatsächlich eintreten. In einer Umfrage des Instituts Pollster für die Boulevard-Zeitung Super Express Anfang März konnte Mentzen erstmals mit 22 Prozent der Stimmen seinen Konkurrenten Karol Nawrocki mit 21 Prozent auf Platz drei verdrängen. Spitzenreiter war auch in dieser Umfrage Rafał Trzaskowski mit 37 Prozent. Dies könnte dem Wahlkampf eine neue Dynamik verleihen, da aus der zuvor rein hypothetischen Möglichkeit des Einzugs Sławomir Mentzens in die zweite Runde ein realistisches Szenario geworden ist. Gleichzeitig lassen die Vertreter der Konföderation zunächst Vorsicht walten. Zu frisch sind die Erinnerungen an die letzten Parlamentswahlen im Jahr 2023. Damals sagten die Demoskopen Mentzens Partei ein zweistelliges Wahlergebnis voraus. Letzten Endes zog die Konföderation dann mit gerade einmal 7,4 Prozent in den neugewählten Sejm ein. Auch aufgrund des enttäuschenden Wahlergebnisses der Konföderation konnte Donald Tusk wenig später eine Mehrheitskoalition formieren, die ihn zum dritten Mal zum Premierminister wählte. Und so gibt es auch nun Befürchtungen innerhalb der Konföderation, dass das Hoch in den Umfragen zu früh gekommen sei und sich nicht bis zum ersten Wahlgang am 18. Mai konservieren lasse. Mentzen startete als erster Kandidat in den Wahlkampf, reichte als erster die notwendigen 100.000 Unterstützerunterschriften für seine Kandidatur ein und registrierte als erster sein offizielles Wahlkomitee. Momentan profitiert er von der Polarisierung zwischen PO und PiS bzw. Trzaskowski und Nawrocki, in deren Windschatten er weitestgehend ungestört agieren und sich als Selfmademan abseits des politischen Establishments inszenieren kann. Doch sobald sich sein zweiter Platz in den Umfragen bestätigen sollte, werden auch die Medien anders auf den Emporkömmling blicken und Mentzen wird sich in einem aus seiner Sicht weitaus ungünstigeren Umfeld beweisen müssen.
Fazit
Mentzens Erfolg in den Meinungsumfragen ist nicht zuletzt deshalb bemerkenswert, da er im Vergleich zu den beiden Hauptfavoriten, Trzaskowski und Nawrocki, weitaus weniger präsent in den traditionellen Medien ist. Häufig allerdings, weil er Interviewanfragen oder Rededuelle mit direkten Kontrahenten ablehnt und nicht wie sein Wahlkampfstab vorgibt, weil ihr Kandidat nicht eingeladen würde. Zu groß scheinen in Mentzens Wahlkampfstab die Befürchtungen zu sein, ihr Kandidat könnte in einer öffentlichen Debatte den Kürzeren ziehen, wie dies bereits im Vorfeld der Parlamentswahlen 2023 der Fall war, als Mentzen im Duell mit Ryszard Petru von der Partei Polska 2050 keine gute Figur abgab. Daher meidet der Konfederacja-Kandidat derzeit Situationen, in denen er das Narrativ nicht kontrollieren kann. Bislang geht diese Strategie, die eine durchdachte Social-Media-Kampagne mit volksnahen Auftritten vor Ort paart, in den Umfragen vollends auf.
Mentzen scheint in den sozialen Medien omnipräsent, hat zu allem und jedem einen Post oder ein Video parat. Die Startseite seines Internetauftritts wirkt auf den ersten Blick wie das Titelbild einer Netflix-Serie, und zwar einer, die man sich sogleich anschauen möchte. Mentzen setzt unter allen Präsidentschaftskandidaten wohl am konsequentesten auf den Faktor Entertainment, um die Unterstützung der Wählerschaft zu erhalten. Mit dieser Strategie hat er bislang Erfolg. Laut einer Untersuchung von ARC Rynek i Opinia wird der Kandidat der Konfederacja als gebildet (49 %), mutig (43 %), entschlossen (41 %), klug (37 %) und ehrlich (30 %) wahrgenommen.
Je näher der Wahltermin rückt, desto weniger wird sich Mentzen den traditionellen Medien und damit auch unbequemen Fragen von Journalisten und konfrontativen Duellen mit anderen Politikern entziehen können. Dies gilt umso mehr für den Fall, wenn er im ersten Wahlgang Karol Nawrocki hinter sich lassen und in die Stichwahl einziehen sollte. Zudem ist es alles andere als gesichert, dass eine Mehrheit der PiS-Wähler im zweiten Wahlgang für Mentzen stimmen würde. Wahrscheinlicher ist, dass sich das Gros der Anhängerschaft von Recht und Gerechtigkeit in einem solchen Fall enthalten würde. Zwar ließ PiS-Chef Jarosław Kaczyński zuletzt in Bezug auf die nächste Präsidentschaft verlauten “Alles, nur nicht Trzaskowski” und einige Beobachter haben das als Fingerzeig in Richtung einer Unterstützung Mentzens gedeutet. Allerdings könnte es ebenso ein Fingerzeig in Richtung der Konfederacja-Wähler gewesen sein, auf deren Stimmen ein erfolgreicher PiS-Kandidat Nawrocki in der Stichwahl angewiesen wäre. Für diese Sichtweise spricht, dass Kaczyński bislang stets seine eigene Führungsrolle innerhalb der PiS über etwaige Wahlerfolge stellte. Und so dürfte er kaum geneigt sein, die Wähler seiner Partei zur Unterstützung Mentzens aufzufordern, muss er doch befürchten, dass Mentzen ihm die Führungsrolle innerhalb der politischen Rechten streitig machen würde. Doch allein die Tatsache, dass der rechtsextreme Sławomir Mentzen von einer wachsenden Zahl der Wählenden als Präsident in Betracht gezogen wird, zeigt, wie sehr sich die politische Debatte auch in Polen zuletzt nach rechts verschoben hat.
Doch vielleicht kommt auch alles ganz anders. Wie die polnische Landeswahlkommission (Państwowa Komisja Wyborcza) in ihrem Bericht vom 17. März erklärt, sind im Finanzbericht der Konfederacja zu den Europawahlen 2024 Unregelmäßigkeiten aufgetreten, vor allem wurde die Abgabefrist für den Bericht überschritten. Die Konsequenzen sind einschneidend. Die Konfederacja droht aus der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen zu werden und würde laut Andrzej Bobiński von Polityka Insight somit rund 26 Millionen Złoty an Zuschüssen verlieren. Die potenziellen Auswirkungen auf Mentzens Wahlkampf könnten fatal sein. Um in die Stichwahl einzuziehen, müsste nun vermehrt ältere Wählerinnen und Wähler ansprechen. Hierfür eignen sich Wahlplakate und die traditionellen Medien besser als TikTok und Co. Allerdings ist dieser Teil des Wahlkampfes entsprechend teuer. Ob die Konfederacja unter den gegebenen Umständen bereit ist, hier noch einmal größere Summen zu riskieren, ist zumindest in Frage gestellt.