15.01.2025 - Gesellschaft , Politik
Vorsicht vor Alkohol am Steuer und schwangeren Nonnen auf Fußgängerüberwegen: Herausforderungen im Wahlkampf des Rafał Trzaskowskis
Photo by wiki commons: R. Trzaskowski mit seiner Frau, Kattowitz 2020
Es begab sich vor genau zehn Jahren, im Januar 2015. In Polen war derzeit ein Präsidentschaftswahlkampf im Gange. Der amtierende Präsident Bronisław Komorowski (Kandidat der Bürgerplattform) genoss eine überwältigende Unterstützung. Seine Umfragewerte waren so gut, dass die meisten politischen Kommentatoren davon ausgingen, ihm sei der Wahlsieg sicher und eine zweite Amtszeit zum Greifen nahe (er sollte schon im ersten Wahlgang 52% der Stimmen bekommen und so ohne Stichwahl gewinnen). In einem Interview formulierte der damalige Chefredakteur der Gazeta Wyborcza, Adam Michnik, einen Satz, der in die Geschichte der polnischen Politik eingegangen ist. Komorowski, sagte Michnik, könne die Wahl nur verlieren, wenn er betrunken eine schwangere Nonne auf dem Fußgängerüberweg überfährt. In der Tat dachten sämtliche Beobachter, Amtsinhaber Komorowski habe die zweite Amtszeit bereits in der Tasche. Kaum jemand ging davon aus, dass ihm den Wahlsieg streitig gemacht werden könnte.
Die Geschichte wollte es anders. Zugegeben, Komorowski hat niemanden wirklich überfahren, aber er und seine Leute mit ihrem Selbstvertrauen führten den Wahlkampf in den letzten Wochen vor der Wahl so schlecht, dass der amtierende Präsident zur Überraschung der meisten Beobachter der politischen Szene nicht für eine zweite Amtszeit gewählt wurde. Andrzej Duda von der PiS, der am Anfang des Wahlkampfs fast unbekannt war, wurde zum neuen Präsidenten gewählt.
Ein Jahrzehnt ist um, die Wahrheit des Spruchs gilt weiter
Nach einem Jahrzehnt erinnern sich viele in Polen an Michniks Bonmot. Nicht ohne Grund. Polen ist nach wie vor stark polarisiert und der erbitterte Kampf zwischen der Bürgerplattform (PO) und der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) geht weiter. Auch die Bewertungen der Kandidaten beider Parteien waren noch vor Kurzem ganz so wie vor einem Jahrzehnt. Im Dezember, als schon klar war, dass Rafał Trzaskowski (der wohlbekannte Warschauer Stadtpräsident, der die Kommunalwahlen 2018 und 2024 schon im ersten Wahlgang gewonnen hatte und 2020 bei den gesamtpolnischen Präsidentschaftswahlen nur knapp unterlegen war) für die KO und der weitgehend unbekannte Chef des Instituts für Nationales Gedenken (IPN), Karol Nawrocki, für die PiS kandidieren würden, war der erste ein klarer Sieger in den Umfragen. 36 bis 39 Prozent der Befragten erklärten ihre Absicht, im ersten Wahlgang für den Bürgerkoalition (KO)-Kandidaten zu stimmen. Lediglich 23 Prozent sprachen sich für Nawrocki aus.
Schon heute deuten aber die Umfragen darauf hin, dass die Lage sich schnell ändern kann. Laut der Opinia24-Umfrage für RMF FM wird Rafał Trzaskowski die Präsidentschaftswahlen im Mai zwar am wahrscheinlichsten gewinnen (30 Prozent im ersten Wahlgang). Im Vergleich zur Umfrage vom letzten Monat verringert sich aber der Abstand zum-PiS Kandidaten merklich (Karol Nawrocki liegt weiter bei 23 Prozent). An Herausforderungen mangelt es indes nicht.
Im Folgenden stellen wir einige Thesen zusammen, die derzeit von polnischen politischen Kommentatoren als Herausforderungen für Trzaskowski diskutiert werden (die Links zu den Artikeln im Original auf Polnisch befinden sich unter dem Text).
Ein Leader zu sein ist nicht einfach
Die meisten Herausforderungen sind mit einer einfachen Wahrheit verbunden, die für fast jede Wahlkampsituation gilt: Ein kontinuierlicher, langfristiger Vorsprung in den Umfragen kann Anhänger leicht in den Schlaf wiegen und sie davon überzeugen, dass das Rennen bereits entschieden ist und es nicht notwendig ist, am Wahlsonntag zu den Urnen zu pilgern. Wenn der Dauerfavorit plötzlich von jemandem aus der Verfolgergruppe überholt wird, ist es für ihn sehr schwierig, diese Dynamik umzukehren. Der Vorsprung von Trzaskowski gegenüber Nawrocki wird in den Umfragen wahrscheinlich schmelzen, je näher die Wahl rückt. Zunächst einmal muss Karol Nawrocki zulegen, weil er in seiner eigenen Wählerschaft an Ansehen gewinnt. Das Problem für Trzaskowski ist dabei, dass jede Veränderung in den Umfragen zu seinen Ungunsten als Schwäche wahrgenommen werden wird. Wie man hört, sind die Berater von Trzaskowski darauf vorbereitet. Die Frage lautet am Ende also, ob es zu einer Trendumkehr kommt.
Jede Stimme zählt
In so einer Situation zählt also jede Stimme. In der Praxis heißt das für Rafał Trzaskowski: die eigene (also liberale, progressive) Wählerschaft mobilisieren, die stark konservative PiS-Wählerschaft demobilisieren und über die eigene politische Nische hinausgehen, d. h. im zweiten Wahlgang zumindest einen Teil der konservativeren Wählerschaft überzeugen. Es ist fast unmöglich, auf alle drei Herausforderungen gleichermaßen gut zu reagieren. Die aktive Mobilisierung liberalerer und linker Wähler, die von Natur aus geneigt sind, für den KO-Kandidaten zu stimmen, kann gleichzeitig die rechte Wählerschaft der PiS mobilisieren, während der Versuch, konservativere Wähler aus kleineren Ortschaften anzusprechen, diejenigen in der Stichwahl demobilisieren kann, die die Kandidatin der Linken, Magdalena Biejat, im ersten Wahlgang unterstützen werden.
Die konservativen Wähler gewinnen
Aufgrund der sozialen Struktur der polnischen Wählerschaft (etwa 60 Prozent der polnischen Wähler leben in Städten mit bis zu 50 000 Einwohnern) werden die Präsidentschaftswahlkämpfe weit entfernt von der Hauptstadt entschieden. Daher erhalten konservative Kandidaten außerhalb der großen Metropolen einen gewissen Zuschlag. Seit 2005 wurden drei von vier Präsidentschaftswahlen in Polen von konservativen Kandidaten der Partei Recht und Gerechtigkeit gewonnen und eine von einem eher konservativen Kandidaten der PO, Bronisław Komorowski. Eine großstädtische und liberale Führungspersönlichkeit wie Rafał Trzaskowski muss sich im Präsidentschaftswahlkampf um das Image eines gemäßigten, leicht konservativen Politikers mit einem guten Verständnis für die Sorgen der Wählerschaft aus kleineren Orten bemühen.
Genau das versucht Trzaskowski momentan. So begann er seinen Vorwahlkampf mit einer deutlichen Hinwendung zur gemäßigten konservativen Mitte. Seine erste Rede hielt er in Gleiwitz. Den größten Teil widmete er dem Bereich Sicherheit, sprach aber auch viel über Gemeinschaft, Tradition, die Interessen der polnischen Landwirte und Wirtschaftspatriotismus, den polnischen ländlichen Raum und Orte außerhalb Warschaus. Trzaskowski betonte seine Kontakte zu Kommunalvertretern aus kleineren Orten und die Tatsache, dass er dank ständiger Gespräche mit ihnen weiß, wie die Probleme Polens außerhalb Warschaus aussehen. In den ersten Wochen des Wahlkampfs mied der KO-Kandidat eindeutig die Metropolen und konzentrierte sich auf kleinere Städte, die für einen Vertreter der Regierungskoalition ein schwieriges Terrain darstellen.
Eindeutig wollte er mit dem Image des arroganten Hauptstädters aufräumen, der vor allem an seiner eigenen Bequemlichkeit interessiert ist. Dabei wirke Trzaskowski, wie einige politische Kommentatoren bemerken, aber möglicherweise nicht authentisch.
Um die Wählerschaft der rechtsextremen Konföderation (Konfederacja) zu gewinnen, die – wenn man Umfragen Glauben schenkt – bis zu 12 Prozentpunkte erreichen könnte, werden auch wirtschaftliche Forderungen von Bedeutung sein. Diese Gruppe ist aber äußerst heterogen und es gibt keinen universellen Weg, sie zu erreichen. Gleichzeitig schließen Trzaskowskis Mitarbeiter jegliche freundliche Geste gegenüber den Konfederacja-Vertretern selbst aus.
Die Progressiven nicht verlieren
Indem er für die konservativere Wählerschaft kämpft, kann Trzaskowski für die progressivere Wählerschaft abschreckend wirken. Im ersten Wahlgang ist dies weniger ein Problem – diese Wähler könnten für Magdalena Biejat von der Linken oder Adrian Zandberg von Razem stimmen. Problematisch wird es dann, wenn diese Wählergruppe der Stichwahl fernbleibt. Schließlich waren es die progressiven Wähler, die am 15. Oktober 2023 der Regierungskoalition zum Sieg verholfen haben – junge Menschen, insbesondere junge Frauen. Heute ärgern sie sich etwa darüber, dass Polen anderthalb Jahre nach dem Regierungswechsel noch immer kein Abtreibungsgesetz hat, das europäischen Standards nahe kommt. Und schon jetzt kann man in den sozialen Medien Erklärungen lesen, die besagen: „Ich werde für Biejat stimmen und dann zu Hause bleiben“. Rafał Trzaskowski vernachlässigt diese Gruppen zwar nicht völlig, es stellt sich aber die Frage, ob das, was er sagt, reicht.
Kandidat aus dem Regierungslager
Und hier kommen wir zu einer weiteren Herausforderung – die Beziehungen zur Regierung. Rafał Trzaskowski ist ein Politiker, der seit Jahren eine Schlüsselrolle in der Bürgerplattform, d. h. der derzeitigen Regierungspartei, spielt. Eine Stimme für ihn oder eine Abneigung gegen ihn wird zwangsläufig eng mit der Bewertung der Arbeit der derzeitigen Regierung verbunden sein. Einige Wähler werden es als eine Chance sehen, der Tusk-Regierung einen Denkzettel zu verpassen. Für die anderen wird es der Abschluss des mit den Parlamentswahlen 2023 eingeleiteten Projekts des Machtwechsels sein.
Die Stimmung in der Bevölkerung wird daher im Mai, wenn die Wahlen stattfinden, von entscheidender Bedeutung sein. Die PiS wird versuchen, diese Wahl als Referendum über die Regierungskoalition zu inszenieren. Die Wähler könnten sich durch die Tatsache enttäuscht fühlen, dass nicht alle Versprechen, die die KO gegeben hatte, erfüllt werden und dass die Abrechnung der PiS-Zeit nicht fortgeschritten ist. Dazu kommt die wirtschaftliche Lage, die zwar viel besser ist, als zum Beispiel in Deutschland, aber in den Augen der Bürger doch nicht zufriedenstellend (hohe Preise, schlechtere Lage auf dem Arbeitsmarkt als bisher). Die Zahlen (ca. 4 Prozent Inflation und 5 Prozent Arbeitslosigkeit) deuten zwar nicht darauf hin, aber entscheidend sind hier nicht die Fakten, sondern die subjektive Wahrnehmung.
Für Rafał Trzaskowski, der weder der Regierung angehört noch die praktische Möglichkeit hat, deren Arbeit zu beeinflussen, könnte die Verbundenheit deshalb eine große Herausforderung darstellen. Ein Ausweg aus dieser Situation könnte darin bestehen, als Vermittler zwischen den Wählern und der Regierung aufzutreten. Von Trzaskowskis Mitarbeitern ist zu hören, dass er die Rolle eines Motivators erfüllen soll. Jemand, der die Regierung darauf hinweist, wo sie Fehler gemacht hat, und sie auffordert, diese Fehler zu korrigieren oder einen Gang höher zu schalten. Das kann zum Beispiel in Fragen der Justiz oder der Lebenspartnerschaft sein. Oder es könnte darum gehen, die Regierung darauf hinzuweisen, was sie tun muss, um die Lebensbedingungen der Menschen in finanzieller Hinsicht zu verbessern. Inwieweit der starke Premierminister, Donald Tusk, sich auf diese Weise belehren lässt, ist jedoch offen. Und vor allem wird sich zeigen, ob es die Wähler zufriedenstellt.
Zu Beginn des Rennens gibt es also viele Unbekannten. Aber dieses Mal ist Rafał Trzaskowski und seinem Umfeld bewusst, dass nichts sicher ist und alles mit harter Arbeit verdient werden muss.
Mehr dazu auf Polnisch
https://oko.press/6-rzeczy-ktore-juz-wiemy-o-kampanii-rafala-trzaskowskiego